Rückblick auf die 44. Legislaturperiode |
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2. Aussenpolitik
95.023 |
Schweizerische
Integrationspolitik. Bericht |
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Politique suisse de
l'intégration. Rapport |
Bericht: 29.03.1995 (BBl III, 191/ FF III, 191)
94.440 |
Parlamentarische Initiative
(Grendelmeier). |
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Beitritt Europäische Union
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Initiative parlementaire
(Grendelmeier). |
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Adhésion à l'Union
européenne |
Ausgangslage
Der Bericht will ein allgemeines Bild der Lage seit dem
negativen Entscheid vom 6. Dezember 1992 zum EWR vermitteln. Der Bericht hat nicht zum
Zweck, als Grundlage für eine erneute parlamentarische Debatte über die europäische
Frage zu dienen.
Der Bericht zeigt zuerst die Entwicklung des Prozesses der
europäischen Integration auf, wo wichtige Veränderungen (Beitritt Österreichs,
Finnlands und Schwedens) festzustellen sind.
Anschliessend lässt der Bericht die Entwicklungen in der
Schweiz Revue passieren. Er geht auf die enge Zusammenarbeit ein, die sich in Fragen der
Integration zwischen dem Bundesrat und dem Parlament, den Kantonen und den
Wirtschaftsakteuren entwickelt hat und nimmt Bezug auf die verschiedenen Impulse, die in
diesem Bereich von den Volksinitiativen und parlamentarischen Vorstössen ausgegangen
sind. Die aussenpolitsiche Ebene betreffend beschreibt der Bericht die verschiedenen mit
Blick auf die Integration der Schweiz getroffenen Massnahmen: die Intensivierung des
politischen Dialogs mit der EU, die Beobachtung der Entwicklung des EWR, sowie die
Neugestaltung der staatsvertraglichen Beziehungen zwischen der Schweiz und Liechtenstein.
Weiter stellt der Bericht die wirtschaftlichen Auswirkungen
der Nichtteilnahme der Schweiz am EWR dar, soweit solche bereits sichtbar sind.
Der letzte Teil ist den bilateralen sektoriellen
Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU gewidmet. Behandelt werden die grossen Züge
der Gesamtstrategie des Bundesrates, die Reaktion der Gemeinschaft und die formelle
Eröffnung der Verhandlungen Ende 1994. Sodann wird auf den generellen Verlauf eingegangen
und anschliessend jeder Sektor einzeln beschrieben. Dabei werden die Ziele der Schweiz und
die der Union umrissen und die ersten Resultate dargestellt.
Verhandlungen
NR |
19.06.1995 |
AB 1995, 1360 |
SR |
26.09.1995 |
AB 1995, 915 |
Eine parlamentarische Initiative Grendelmeier (U, ZH),
welche die Reaktivierung des schweizerischen EU-Beitrittsgesuches 1996 verlangt, sowie ein
Vorstoss der aussenpolitischen Kommission, welcher das gleiche will, dem Bundesrat aber
die Wahl des Zeitpunktes innerhalb der nächsten vier Jahre freistellt, zwangen den
Nationalrat zu mehr als einer blossen Kenntnisnahme des Berichtes. Moser (A, AG) wollte
den Bericht zurückweisen, da die wirtschaftlichen Auswirkungen des EWR-Neins einseitig
negativ dargestellt und sich nicht auf Fakten, sondern auf Mutmassungen abstützt. Pini
(R, TI) wandte sich enttäuscht vom Bericht ab, weil er kein klares Bekenntnis zu einem
föderalistischen Europa ablege.
Für alle übrigen Parteien war die Kenntnisnahme indessen
kein zentrales Thema, weil der Bericht zwangsläufig nicht über eine sehr vorläufige
Zwischenbilanz der bilateralen Verhandlungen hinausgeht. Für deren politische Würdigung
sei die Zeit noch nicht gekommen. Im Zentrum der Äusserungen standen vielmehr die
Versuche, die - bekannten - integrationspolitischen Standpunkte nochmals zu umreissen.
Nabholz (R, ZH) bekannte sich zur Priorität der bilateralen Verhandlungen. In dieser
heiklen Verhandlungsphase gelte es, politische Störmanöver, wie voreiliges Abschreiben
oder einschüchternde Referendumsdrohungen zu vermeiden und innenpolitisch optimale
Voraussetzungen für einen Verhandlungserfolg zu schaffen. Columberg (C, GR) erinnerte an
das Bekenntnis seiner Partei zu einem föderalistischen Europa. Weil in der Schweiz alles
schrittweise erreicht werde, stehe für die CVP der Bilateralismus im Vordergrund und
dränge sich keine europapolitische Generaldebatte auf. Auch die Liberalen, welche die
EU-Mitgliedschaft bejahen, betonten den zeitlichen Vortritt der bilateralen gegenüber den
Beitrittsverhandlungen.
Rychen (V, BE) wandte sich vermittelnd gegen polarisierende
Schwarzweissmalerei, lehnte die europapolitischen Extrempositionen des "Sofort"
und des "Nie" ab und plädierte dafür, die künftige Entwicklung der
Integrationspolitik jenseits des Bilateralismus offenzuhalten. Blocher (V, ZH) meinte es
gehe nicht um Öffnung oder Isolation, sondern um den Willen zur politischen,
wirtschaftlichen und sozialen Selbst- und Fremdbestimmung. Diese Wertordnung sei Teil der
Heimat, verteidigte Blocher seine die EU verunglimpfenden Stiefel-Inserate, und wer sich
von diesen Werten abwende, der lasse eben Heimatmüdigkeit erkennen. Ob man den Bericht
zur Kenntnis nehme oder nicht, spiele keine Rolle, weil sich der Bundesrat und die
Parlamentsmehrheit mit der Fixierung auf den EU-Beitritt ohnehin für eine falsche Politik
entschieden und damit auch die bilateralen Verhandlungen gefährdet hätten.
Vollmer (S, BE) akzeptierte die Notwendigkeit von
bilateralen Verhandlungen zur Schadensbegrenzung nach dem EWR-Nein. Seine Partei bekenne
sich aber zur Mitgliedschaft in der EU, weshalb die Beitrittsverhandlungen aufgenommen
werden müssten. Nach der Meinung von Bär (G, BE) erträgt das Volk die Wahrheit. Deshalb
müsse ihm klar gemacht werden, dass die bilateralen Verhandlungen nicht mehr als ein
langwieriger, organisierter Stillstand bedeuteten. Europas und der Schweiz grösste
politische Herausforderung, dies die zweite bittere Wahrheit, sei das Aufkommen eines
neuen Nationalismus, und diesem könne man allein mit einer erfolgreichen europäischen
Integration entgegentreten.
Mit grosser Mehrheit nahm der Rat vom Bericht Kenntnis,
verwarf die Initiative Grendelmeier und überwies das Kommissionspostulat. Dieses
bestätigt die Priorität der bilateralen Verhandlungen und die Kompetenz des Bundesrates,
den Zeitpunkt für die Reaktivierung des suspendierten EU-Beitrittsgesuches zu bestimmen.
Auch der Ständerat nahm Kenntnis vom Zwischenbericht.
Konzentration auf die bilateralen Verhandlungen, keine Grabenkämpfe und das
"Phantom" EU-Beitritt und Versachlichung der Europadebatte: Darin stimmte der
Ständerat überein. Es sei unverantwortlich, die bilateralen Verhandlungen durch
Referendumsdrohungen zu torpedieren, sagten mehrere Redner an die Adresse von Nationalrat
Blocher. Uhlmann (U, TG) meinte, die Schweiz müsse ihren Platz ausserhalb der EU
festigen, ohne sich abzuschotten, und die bilateralen Verhandlungen in gegenseitigem Geben
und Nehmen abschliessen.
Der EU-Beitrittsentscheid sei weder für morgen noch
übermorgen, sagte Meier (C, LU). Die Dinge müssten in der schweizerischen Demokratie
lange reifen. In der Europadebatte seien Methoden erfunden worden, die mit der politischen
Kultur nicht mehr vereinbar seien, rügte Fritz Schiesser (R, GL). Die innenpolitische
Diskussion müsse wieder auf den Boden der Fakten zurückgeführt werden.
Frick (C, SZ) riet dem Bundesrat, die Bedeutung der
bilateralen Verhandlungen herauszustreichen und sie nicht nur als Vorgänge technischer
Natur darzustellen.
Bundesrat Delamuraz meinte, dass das Nein zum EWR
offensichtlich negative Auswirkungen habe, die sich mit der Zeit verstärkten. Nachteilig
sei beispielsweise der fehlende Zugang der schweizerischen Wirtschaft zu den öffentlichen
Ausschreibungen in den Gemeinden der EU. Die Swissair und das Lastwagengewerbe seien von
der Kabotage ausgeschlossen. In den bilateralen Verhandlungen wechselten sich Fortschritt
und Stagnation ab, berichtete Delamuraz. Die EU halte am ausgewogenen Parallelismus
innerhalb und zwischen den einzelnen Verhandlungsgegenständen fest.
Bundesrat Cotti warnte davor, bei aller gebotenen
Konzentration auf die bilateralen Verhandlungen die weiteren Entwicklungen in der EU zu
verschlafen. So zeitige die Währungsunion, obschon noch nicht beschlossen, bereits heute
ihre psychologischen Auswirkungen auf den Franken.
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